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PERTOLZHOFEN (Ausschnitt), 2011, Holzrelief, Schlagbuchstaben, 114x114cm

Wie dieses Reliefbild entstanden ist? Das ist eine längere Geschichte. Sie trug sich zu in Pertolzhofen in der Oberpfalz und begann damit, dass ich nicht das machen konnte, was ich wollte, weil es nicht das Material gab, das ich brauchte. Ich ging zum örtlichen Schreiner, ich ging zum Sägewerk, ich fuhr nach Teunz, nach Oberviechtach und nach Pirk – nirgendwo gab es Sperrholzplatten mit Astlöchern und einer starken Maserung. Dann hast’ halt die Gegend kennen gelernt, sagte Martl, und: Man sieht’s rauchen in deinem Kopf.

Rauch ist eine Begleiterscheinung bei der Umwandlung von Not in Tugend: Vergiss die Sperrholzplatten, vergiss die Texte, die du mit Ölfarbe auf die Platten malen wolltest. Mach ein Holzrelief, das war doch schon immer eines deiner Vorhaben! Stech- und Hohlbeitel stehen zur Verfügung, zudem befindet sich ein Satz Schlagbuchstaben in deinem Gepäck, also: Das Meer aus der Vogelperspektive, mit einem Teibgut aus Buchstaben, lautet die neue Vorstellung, und der Rauch beginnt sich zu verziehen. Die Buchstaben werden mittels Schlagbuchstaben ins Relief getrieben, und zwar jene, die Hölderlin in seinem „Dichtermut“ verwendet hat: Was geschiehet, es sei alles gesegnet dir, sei zur Freude gewandt. Oder was könnte denn dich beleidigen, Herz, was da begegnen, wohin du sollst. – Nun, was könnte Dir in den nächsten Tagen und Wochen bei der Arbeit begegnen? Als erstes vielleicht die Unfähigkeit, das Meer zu zeichnen? Welliges Wasser, wie geht das? Wie sieht überhaupt eine Welle aus? Wie erhebt sie sich aus dem Meer, und wie gewinnt sie ihr Volumen aus der Flachheit? Weit und breit kein Vorbild, weder im Brockhaus noch in Kunstkatalogen. Und im Haus, diesem großen, alten, ehemaligen Heustadel mit zwei Toren und einem Biberschwanz-gedeckten Dach gibt es kein Internet. So treiben meine Wellen wie Löffelbisquits in der Ostsee oder Franzosenbrote vor der Cote d’azur. Ich bin halt kein Zeichner. Aber was bin ich dann? Einer, der Buchstaben in Holz treibt, ein Buch-stabler, bzw. im Augenblick, und das voraussichtlich noch für einige Tage, bis dass ein neuer Text auftaucht, ein Stechbeitler. Mit einer für ein Relief viel zu flachen, nur zwei Zentimeter starken und aus drei Schichten bestehenden Holzplatte.

Da schau her, sagt man in Bayern: Da kommt er wieder, der Not-in-Tugend-Wandler! Was auch geschieht, es ist ihm alles gesegnet. Er kommt in die Tiefe, indem er in die Höhe geht und kleine Bretter auf seine Platte leimt. Nun ist er angekommen in seinem zweiwöchigen Arbeitsaufenthalt unter sieben anderen Künstlern, mit denen er Brot und Pinsel teilt.

Er muss vorsichtig zu Werke gehen. Unter der ersten Schicht lauert bereits in sieben Millimeter Tiefe die zweite Schicht. Und dann passiert es! Ein Schlag zu viel, und ein zweicentgroßes Loch starrt ihn an mit seiner gegenläufigen Maserung. Ein hässliches Auge. Ohne Zusammenhang mit seiner Umgebung. Er kann nicht so tun, als sei es nicht da. Er muss es einbeziehen.

Ich steche den Star, sagt Dr. Eisenbart, berühmtester Sohn von Oberviechtach, dem nächstgelegenen Ort. Ich setze den Stechbeitel an, schlage eine Kerbe mitten in die Iris, das Auge öffnet sich und siehe da, die Maserung der ersten bildet mit der der zweiten Schicht eine nicht uninteressante Struktur.

Vom Meer habe ich mich endgültig verabschiedet. Seine Vorstellung wäre jetzt nur noch hinderlich wie ein schlecht gewählter Titel. Und mit den Franzosenbroten habe ich längst Freundschaft geschlossen, weil sie keine mehr sind. Ein paar Wischbewegungen mit dem abgerundeten Ende der Kettensäge haben genügt, aus den übrig gebliebenen Formen Unformen zu machen. Und so kann die Wahrnehmung sich mit ihrer Tendenz zur Eindeutigkeit, zum „Sieht-aus-wie“, an der Unvergleichlichkeit der Unform abarbeiten. Unform – ein „i“ genügt, und das Unvergleichliche verwandelt sich in sein Gegenteil.

Mit dem Abschied vom Meer ist auch der Abschied vom Hölderlin-Text verbunden. Ein neuer Text muss her. Oberhalb von Zankendorf biege ich in einen Feldweg ab und als ich vom Rad steige, fliegt eine Lerche auf meine Schulter und zwitschert mir ins Ohr: He, der Text, den du suchst, ist eine Wegbeschreibung!

Wegbeschreibung? Was mir alles unterwegs dorthin, wohin ich mit meinem Relief soll, begegnen wird? Das Relief schreibt sich selber seinen Weg? Klingt gut, aber wie macht es das? Ein wenig Gottvertrauen, und der Vogel der Eingebung (in welcher Gestalt auch immer er sich auf meiner Schulter niederlassen mag) wird es bald verkünden. Denn der Vögel sind viele unter dem Himmel – wenn man Rad fährt.

Nach Plechhammer, Windhals, Lampenried und Putzhof, nach Gmeins, Oberkatzbach, Niesaß sowie Wildeppenried, nach Altfalter und Tröbes, nach Götzenöd, Wusch- und Pamsendorf, nach Namsenbach und Böhmischbruck, nach Woppenrieth und Beutelsbach fahre ich mit dem Finger auf der Radkarte und bereite mir ein Klanggericht.

Der Reliefaushub, Beitel- und Sägespäne, füllt bereits einen Weidenkorb, doch die Fertigstellung des Textes lässt auf sich warten. Beitler, Schlagbuchstabler, Schreiber und das Relief sind in ständigen Verhandlungen. Es geht zu wie auf der Baustelle. Der Schlagbuchstabler wartet auf den Schreiber, der auf den Beitler und das Relief wiederum auf den Schreiber. Oder umgekehrt. Oder wieder ganz anders. Noch gehen sie alle freundlich miteinander um.

Ödmeiersrieth, Friedrichs-häng, Windhals, Pfrentsch, Dimpft, Wiesensüß, Premeischl, Lukahammer, Ödmies-bach, Dürnersdorf, Altweichelau.

Nach neun Tagen hat das Beiteln ein Ende, das Schlagen jedoch geht weiter. „Fasse dich kurz!“ mahnt der Schlagbuchstabler den Schreiber, „bedenke, dass ich zum Schlagen eines Buchstabens im Durchschnitt 10 Sekunden brauche, in der Minute also 6, in der Stunde 360 Buchstaben schaffe, was ungefähr 4 Zeilen deines fast 3 Seiten langen Textes entspricht.“ „Ich danke dir für deine Not“, antwortet der Schreiber, „so kann ich sie in eine Tugend verwandeln. Das Abschweifige ist auch meine Sache nicht, doch – es tut mir leid, dass ich darauf bestehen muss, aber so ist es nun einmal – ein Text braucht die Länge, die er braucht.“ „Und ich, ich vertrage nur so viele Buchstaben wie meine Oberfläche es erlaubt!“ meldet sich das Relief zu Wort, „ich meine das ästhetisch, nicht technisch, nicht wegen der vielen Scharten und Senken, die mich auszeichnen, an denen aber kein Buchstabe Halt findet.“ Einen Moment lang herrscht ratloses Schweigen, dann sagt der Schlagbuchstabler: „Ich schlage einen Kompromiss vor, ich schlage, so viel ich kann, und so viel das Relief mir zugesteht, und wenn der Text das Maß meines Schlagens und das ästhetische des Reliefs übersteigt, bleibt der Überhang ungeschlagen und erscheint nur auf dem das Relief begleitenden Textblatt.“ Einverstanden, sagt das Relief, und dann zum Beitler gewandt: „Da wäre noch etwas, ein kleines Problem, das ich mit meiner Oberfläche habe, es nennt sich ‚Nachdunkeln’. Du, Beitler, musst mich davor schützen, schließlich bist du es, der mir die kleinen Plateaus und Scharten weiß wie Schnee zugefügt hat, und die ich jetzt schon nicht mehr missen möchte.“

Seit Tagen landen immer wieder andere Vögel auf meiner Schulter. Gestern sagte die Bachstelze: Schnitze verschiedene Rechtecke entlang des Rahmens, die bündig mit ihm in das Relief hineinragen. Sie werden aussehen wie Stege. Auf ihnen bringe deinen Text unter. Heute Nacht sang die Nachtigall: Nimm ein Stempelkissen und färbe damit den Buchstaben dunkel, damit sie aus dem Relief hervorstechen wie mein Gesang aus der Nacht. Heute morgen sagte die Eule: Damit sich der Text mit dem Bild verbindet, muss er die Form deiner Franzosenbrote, pardon, deiner Unformen annehmen. Morgen wird ein Specht an meine Schläfe hämmern: Ratatatata, so muss der Text ins Holz! Übermorgen wird mir ein Sperling raten: Nimm den Sämann als Vorbild: Streue die Buchstaben aufs Relief wie Samenkörner auf den Acker. Und wenn auch Schlagen und Schreiben ein Ende haben, werden die Krähen kommen: Blau eingefärbt sollen die Buchstaben sein. Nein, weiß. Nein, schwarz, nein, tiefer eingeschlagen, nein, nicht so tief, nur ganz flach, einem Flüstern gleich.

Am vorletzten Tag: Der Schreiber stöhnt: „Welchem Vogel habe ich die Eingebung zu verdanken, ich solle die Buchstaben stempelkissenblau einfärben!? Das bindet sich doch gar nicht mit dem Bild!“ Und zum Beitler: „Das kann nicht so bleiben, mach es weg! Und du, Buchstabler, schlag die Buchstaben neu!“ „Ich dachte, ich wäre fertig!“, rufen Beitler und Buchstabler im Chor. „Fertig seid ihr, wenn ich es sage“, sagt der Schreiber, „denn hier habe ich das Sagen!“ „Du irrst dich“, widerspricht das Relief, „kein einziges Wort stünde auf deinem Blatt, wenn es mich nicht gäbe.“ „Im Gegenteil, mein Text bringt dich erst hervor!“ sagt der Schreiber nachdrücklich. „Henne/Ei, Henne/Ei, Henne/Ei!“ rufen Beitler und Buchstabler abwechselnd, wobei der erste das erste und der zweite das zweite Wort ruft. „Beruhigt euch“, sagt das Relief, „morgen ist auch noch ein Tag. Du, Beitler, tu jetzt was gegen das Nachdunkeln und verhülle mich!“

Am nächsten Morgen scheint die Sonne. Es ist der letzte Tag. Ich verlege meinen Arbeitsplatz unter den Nussbaum nahe des Hauseingangs. Gegen Mittag werfe ich einen letzten Blick auf das Relief – wie es entstand? Das ist eine schätzungsweise neuntausend Buchstaben umfassende Geschichte, von der etwas über die Hälfte in Holz geschlagen ist. Sie trug sich zu in Pertolzhofen in der Oberpfalz während eines Symposions, das seinem Namen alle Ehre machte, und begann damit, dass ich nicht das machen konnte, was ich wollte, weil es nicht das Material gab, das ich brauchte.

Pertolzhofen, 20. Juni bis 1. Juli 2011