PORTRAIT DES SCHRIFTSTELLERS ALS SCHRIFTSTELLER – EIN SELBSTGESPRÄCH

Du kennst doch diese Vorstellung von mir: ich sitze in einem leeren Raum auf einem Stuhl und bin in tiefes Nachdenken versunken? Eines der Bilder, die du seit Kindertagen im Kopf hast? Ja. Die Vorstellung, einzig und allein durch Nachdenken über ein Problem, im Gespräch mit mir selber, zu einer Lösung zu gelangen. Angesichts der bevorstehenden Ausstellung scheint es mir jetzt an der Zeit, diese Vorstellung in die Tat umzusetzen. Ich werde mich also hier im Museum Ludwig in diesem von mattem Dämmerlicht erfüllten großen Saal des Graphischen Kabinetts auf einen Stuhl setzen, die Augen schließen und nachdenken. Und wie lange willst du auf diesem Stuhl sitzen und nachdenken? Bis das, was ich denke, durchdacht ist. Ich wette, du schweifst schon nach 5 Minuten ab und starrst Löcher in die Luft. Dazu bist du da, um das zu verhindern. Verstehe ich nicht. Du sollst mein Schäferhund sein. Verstehe ich nicht. Du sollst die Schafe meiner Gedanken zusammenhalten. Und worüber willst du nachdenken? Darüber, wie sich in meiner Arbeit in den letzten Jahren das Verhältnis von Wort und Bild gestaltet hat. Ich will so lange nachdenken, bis ich zu einem Ergebnis komme, und das geht, glaube ich, besser, wenn man mit jemandem zusam­men nachdenkt, zwei Hirne denken mehr als eins. Portrait des Schiftstellers als Schrift-Steller – Eine Klarwerdung. Klingt wie ein Titel von Thomas Bernhard. Genau. Und du bist mein Vor­denker, Interviewer, Stichwortgeber, advocatus diaboli, Dazwischenredner, alles in einem, schließlich kennst du mich am besten. Ich soll dir also zu-denken, zu denken geben. Mich auf Kurs halten, alle Schlupflöcher zu­stopfen. Auch wenn dabei heraus käme, dass ich weiß, dass ich nichts weiß, wäre das Nachdenken fruchtbar, nein, dieses Ergebnis wäre sogar wünschenswert, das Nicht-Wissen ist ein sanftes Ruhekissen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß? Im Gegenteil, alles, was ich nicht weiß, macht mich heiß, manchmal glühe ich vor Nicht-Wissen, aber wenn ich am Ende weiß, dass ich nichts weiß, dann ist alles gut. Verstehe ich nicht. Ich auch nicht. Aber im Gegensatz zu meinem ist dein Unverständnis in diesem Gespräch fehl am Platz! „Verstehe ich nicht“ möchte ich in Zukunft nicht mehr von dir hören, alles klar? Alles klar. Eine Bedingung noch, ich möchte einen eigenen Namen haben, dann kann ich mich besser von dir unterscheiden. Wir könnten uns berühmte Künstler zum Vorbild nehmen, ich verkörpere die Rolle des Schriftstellers und bin James Joyce und du die des bildenden Künstlers..., was reimt sich auf Joyce? Beuys. Wunderbar! Du bist Josef Beuys. Joyce trifft Beuys. Nimm dir einen Stuhl, Josef, und setz dich mir gegenüber. Muss ich jetzt mit niederrheinischem Akzent sprechen? Deinen Hang zu Kalauern kannst du gefälligst auch zügeln!! Aber wenn sie der Sache dienlich sind... Auch dann. Ich kann mich also auf dich verlassen? Ich werde alles in meinen Kräften Stehende tun, Licht ins Dunkel zu bringen. Mit welchem Dunkel fangen wir an? Mit deiner Behauptung, du seist eigent­lich kein Schriftsteller, sondern ein Maler, der nicht malen kann. Ich habe nur den Verdacht geäußert, dass ich tief in meiner Seele ein Maler bin, ein Maler jedoch, dem Farben und Linien zu Druckerschwärze und Buchstaben geraten, ein Maler der inneren Bilder, der seine Bilder schreibt. Der Inhalt meines Schreibens ist sozusagen malerisch. Ich habe nicht den üblichen Stoff, den ein Schriftsteller zur Verfügung hat, die üblichen Themen, seien sie der Politik, der Zeitgeschichte, dem Sozialen, oder dem, was man allgemein als die "menschliche Komödie" bezeichnet, entlehnt, ich habe als Stoff, so wie es Peter Handke einmal formuliert hat, nur das "Existieren". Hat das etwas mit deiner Vorliebe für das Staunen zu tun? Ich ziehe es dem Wissen vor, genauso wie ich das Schauen dem Sehen vorziehe, eine Wahrnehmungshaltung, die eher typisch für einen Maler ist. Staunen lässt sich besser in Formen und Farbe umsetzen als in Worte, nicht um­sonst ruft man aus, wenn einen das Staunen gepackt hat: Da fehlen mir die Worte! Sehen und Wissen bringt man dage­gen eher mit einem Schriftsteller in Verbindung. Vielleicht hast du deshalb begonnen mit Künstlern zusammen Bücher zu machen? Jedenfalls begann damit meine Karriere als Nicht-Maler, als Schrift-, nein, besser: als Zeichen-Steller. In den ersten Büchern standen sich noch Wort und Bild gegenüber, auf der einen Seite der Text, auf der an­deren das Bild. Das Bild als visuelle Öffnung, ein Loch, das den Fluss des Textes unterbricht. Der Text war das Präzise, Bestimmte, die Bilder das Ungefähre. Ich habe den Text vorgegeben, der Künstler hat ihn gelesen, ver­daut und dann Linol- oder Holzschnitte oder Aquarelle gemacht. Dieter Roth hat Bücher zu Würsten verarbeitet, indem er die Seiten gehechselt und dann in einen Darm gesteckt hat. Das ist dann kein Buch mehr sondern ein Objekt. Ein Künstlerbuch ist immer noch ein Buch, es muß lesbar sein. Text und Bild sind gleich wertig, das Bild ist aus seinem il­lustrativen Verhältnis entlassen, es gibt keine eindeutige Beziehung zwischen Text und Bild..., warum summst du die "Moldau"? Mir fällt der Musikunterricht im Gymnasium ein. Als wir die Moldau durchgenommen haben, hat der Lehrer auf die illustrative, lautmalerische Komposition abgehoben, passt auf, gleich kommen die Strom­schnellen, da hört man förmlich, wie der Fluß über die Felsen gleitet, wie es quirlt und sprudelt, oder wie er kurz vor der Mündung breit und behäbig dahin fließt. Das bringt mich auf einen Gedanken: Text und Bild sind wie Land und Wasser, wie Fluß und Ufer. Bei einem Fluß kann man auch nicht behaupten, dass er die Landschaft illu­striert, durch die er fließt, es ist die Landschaft, die das Wasser anzieht und ihm eine Form gibt, und doch sucht das Wasser sich selbst seinen Weg. Fluß ohne Ufer. Ein wunderbarer Titel, einer der besten der Weltliteratur. Du hattest immer den Hang, Text und Bild einander näher zu bringen, sie aus ihrer formalen Isolation zu lösen. Aber nicht um den Preis des Illustrativen. Ich wollte beides durchmischen, und das war nicht einfach, denn die Gefahr, ins Graphische abzugleiten und über eine nur formale Verhältnismäßigkeit, eine bloße Gewichtsverteilung, nicht hinauszukommen, war groß. Der Text sollte einen eigenen Körper haben, und so ist TÜR ZU entstanden, auf dessen Seiten sich, um im Bild zu bleiben, Land und Wasser durchdringen wie bei einem weit verzweigten Flußdelta. Schnitte, von Rolf Dieter Brinkmann. Brinkmann hat Collagen gemacht,

dieses Geschnipsel von Worten und Fotos, das Schnelle-Zerschneiden, Nicht-lange-Überlegen, der Zufall, der die Hand führt, nichts Ausgedachtes sondern Schnellgeklebtes, das gefällt mir, das bewahrt einen vor formalen Spielereien. Du hast aber immer auch schon den Text selbst als Bild genom­men, hauptsächlich bei deinen, wie soll ich sagen, literarischen oder belletristischen Büchern. Ich habe jedes dieser Bücher als Anlass genommen, einen Ausflug ins Reich der bildenden Kunst zu machen, indem ich Worte und Sätze aus ihnen genommen und sie bearbei­tet habe. Kalligraphisch? Im weitesten Sinn. Die Kalligraphie ist die Kunst des Schönschreibens, ich bin kein Schönschreiber, kein Kalligraph, eher.. Graf Kalli? Erinnere dich an unsere Vereinbarung! Wir wollten ein ernsthaftes Gespräch führen. Wo "Es" war soll "Ich" werden, hat Freud gesagt. Der Witz ist die Spalte, durch die die Lava des Unbewussten quillt, wusstest du das nicht? Na gut, ich will mich nicht mit dir strei­ten...nein, ich bin eher, um in deinem Wortspiel zu bleiben, ein Graf Kritzler. Wenn man sich zu sehr an der Form der Buchstaben orientiert, bleibt das Ganze im Typografischen stecken. Die Schrift muss kurz vor der Auflösung stehen, kurz vor dem Unlesbaren. Eben hast du noch gesagt, der Text müsste lesbar bleiben. Da ging es um Künstlerbücher, jetzt geht es um den Text als bildnerisches Material, darum, dass die Bedeutung der Worte attackiert wird. Die Welt, die sich beim Lesen von den zweidimensiona­len Buchstaben, den graphischen Zeichen erhebt, soll verhüllt bleiben, nur ihre Umrisse sollen sich durch die Hülle abzeichnen, wie bei einem von Christo verpackten Objekt, als stünde man auf der Schwelle zu einem dunklen, un­endlichen, nur von einem Raunen erfüllten Raum. Die Ahnung von dem, was da geschrieben steht, liegt wie Nebel über dem Schriftbild, über diesem aus vielen einzelnen Buchstaben zusammengesetz­ten, schwarzen Rechteck, das man auch als eine aus vielen zu Zeichen geformten Linien komponierte Zeichnung ansehen könnte. Die chinesische Schrift ist eine vollkommene Synthese aus Bild und Zeichen, was eigentlich nicht verwunderlich ist, da sie zu den ideografischen Schriften gehört, die Gegenstände und veranschaulichte Begriffe abbilden, im Gegensatz zu den phonographischen indogermanischen Schriften, die den Klang der Sprache durch Zeichen repräsentieren. Das ist ein großer Unterschied, ob die Schrift ursprünglich aus Bildern der repräsentierten Begriffe besteht oder Alphabete ausgebildet werden, die das unsichtbare gesprochene Wort mit Zeichen für Klänge darstellen. Deshalb wird in Asien ja auch für Schreiben und malen die gleichen Materialien, Tusche und Pinsel verwendet. Das ist sehr interessant. Dieser Unterschied ist mir noch nie so deutlich gewesen. Aber auch die lateinische Schrift hat ihre Schönheiten: Kreise, Halbkreise, Dreiecke, kurze Linien, die in verschiedenen Winkeln aufeinander­treffen. Nicht zu vergessen die Zahlen. Wie schön eine 5 ist! Zusammengesetzt aus einem rechten Winkel und ei­nem Kreisbogen, ihre obere Hälfte aus einer rechteckigen, nach rechts geöffneten, ihre untere Hälfte aus einer runden, nach links geöffneten Fläche. Und die 6, eine beschleunigte Kreisbewegung, in der schließlich die Fliehkraft obsiegt und den Strich aus dem Kreis hervorschießen lässt. Und wie schön erst, wenn 6 und 9 sich annä­hern, zusammenfinden und zur liegenden 8, dem Zeichen der Unendlichkeit, verschmelzen! Oft blättere ich in einem Buch mit dem Blick eines Analphabeten und die Schrift wird zu einer Ansammlung graphischer Zeichen. Was die Schrift als bildnerisches Material so unvergleichlich macht, ist, dass sie gleichzeitig Form und Inhalt ist und ein Vexierspiel wie bei diesen Kipppostkarten ...Kip-p-postkarte, drei "p´s" hintereinander, das ist das Schöne an der neuen Rechtschreibung, das ist Konkrete Poesie...entschuldige, dass ich dich unterbreche... also, dass sie ein Hin- und Herspringen zwischen Zeichen und Be­zeichnetem, zwischen Form und Inhalt, zwischen Bedeutung und Linienführung ermöglicht. Der Text ist wie die Grundierung einer Leinwand, nur hat die Textleinwand gegenüber der Malleinwand den Vorteil der Lesbarkeit. Vielleicht könnte man es so formulieren: über die 5 Sinne hinaus gibt es einen 6., und der ist das Denken..., Das Denken?? Das Denken ist kein Sinn, vielmehr ist es den Sinnen nachge­ordnet, ein unermesslicher Raum, gespeist von den Sinneseindrücken. Dann eben die Phantasie... Auch da ist ein Unterschied, man denkt Gedanken, aber man phantasiert sie nicht, man phantasiert Bilder. Gut, sagen wir: gedankliche Bilder. Ja, ein Buch phanta­stischer ist als ein Bild, denn es besteht nur aus Gedanken, da ist nichts Sinnliches, was erst abgestreift werden müsste. Worauf willst du eigentlich hinaus? Ich habe keine Ahnung, das werden die nächsten Gedanken zeigen. Deine oder meine? Deine. Es gibt diese Arbeit von Fischli und Weiss, in einem dunklen Raum werfen 5 Projektoren wie Luftschlangen geformte Fragesätze auf 3 Wände, zum Beispiel: Ist der Teufel glücklich? Als ich den Raum betrat, dachte ich, ich beträte das Innere eines Kopfes. Ja, mir ging es ähnlich. Das Lesen öffnet den weitesten Raum, er ist viel größer als der an die fünf Sinne gebundene. Aber Lesen ist auch anstrengender als Bilder betrachten. Beim Lesen kriegt man nur die Bausteine geliefert und muss das Bild selber zusammensetzen. Und wird dafür mit den schönsten Bildern entschädigt. Pessoa hat in seinem "Buch der Unruhe" geschrie­ben: ZITAT!!! Literatur, eine mit dem Denken vermählte Kunst und eine Verwirklichung ohne den Makel der Wirklichkeit, scheint mir das Ziel, dem alles menschliche Bestreben gelten sollte (...) Ich glaube, eine Sache in Worte fassen, heißt ihr die Kraft bewahren und den Schrecken nehmen. Felder sind grüner in der Beschreibung als in ihrem Grün. Beschreibt man Blumen mit Sätzen, die sie im Bereich des Imaginären definieren, sind ihre Farben von einer Dauer, die ihr zelluläres Leben nicht hergibt. Die Überhöhung der Wirklichkeit findet in jeder Kunstgattung statt. Ein Maler kann eine Wiese grü­ner als grün malen, er kann sie sogar rot malen, wenn sein Gefühl es ihm vormalt. Das ist expressio­nistische Pinselquälerei. Wenn eine Wiese rot ist, ist sie keine Wiese mehr. Aber darum geht es nicht, es mögen viele Wege ins Reich der Phantasie führen, aber die Literatur ist der Königsweg..., Amen! Deine Eitelkeit verstellt dir mal wieder den Blick auf die Realität. Aber lassen wir diese abstrakten Gedankenspiele und gehen zu­rück zu deiner eigentlichen konkreten Arbeit. Angefangen haben deine Ausflüge, wenn ich mich recht erinnere, mit den bedruckten Offset Platten zu SCHUKRUT. Nein, erste Ausflüge habe ich mit Gedichten gemacht, Drei- und Vierzeilern, die ich in Linoleum getrieben habe, Komm wir gehen in den Mais / und machen es ganz leis / als regnete es Reis / auf meinen und auf deine Meis. In dieser Art. Und dann kamen Fragen, die der Luftlochschläger, meine erste Romanfigur, gestellt hat, Fragen wie aus Kindermund, Dass von nichts nichts kommt, wie kommt das? Oder: Wie kommt das, dass der Mensch denkt, Gott lenkt? Fragen, die die Absurdität der menschlichen Existenz humorvoll zum Ausdruck bringen, mit der Betonung auf Humor, denn ohne Humor könnte man ja das Menschliche gar nicht aushalten. Diese Fragen begleiten mich bis heute. Für diese Ausstellung habe ich ein Leporello gemacht: Elf Fragen, auf die das Leben keine Antwort, ja die es noch nicht einmal gestellt hat. Wie gefällt dir der Titel, Josef? Gut. Weißt du, dass ich eine stille

Bewunderung für dich hege? Ich finde es großartig, wie du diesen Spagat hingekriegt hast zwischen einem, der sich für eine Woche mit einem Koyoten zusammen in einen Käfig sperren lässt und einem, der für die Grünen kandidiert. Und du, James, du Titan des Wortes, der du es gewagt hast, Homers Odyssee auf die heutige Wirklichkeit zu adaptieren..., entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber ich muss dir gestehen, ich mag Joyce gar nicht, ich habe ihn nur genommen, weil er sich auf deinen Namen reimt, ich habe den Ulysses nie weiter als bis Seite 57 gelesen, ich meine, was ist daran so toll, wenn man eine 10 jährige abenteuerliche Irrfahrt durch die sonnendurchflutete Ägäis auf einen Tagestripp durch das regnerische Dublin verdünnt? Das ist doch nur was für Kritiker, die einen akademischen Spaß daran haben, aufzudröseln, welcher Gott sich in welchem irischen Kneipenwirt wiederfindet. Na, aber immerhin hast du den inneren Monolog erfunden. Ach, was ist das schon gegen diese unzähligen herrlichen homerischen Bilder, gegen diesen Sprachrhythmus! „Der Morgen erwacht mit Rosenfingern.“ Ist das nicht wunderbar? Ich wette, du findets im Ulysses keine einzige Zeile, die es mit der poetischen Kraft dieses Bildes aufnehmen kann. Nein, ich will nicht mehr Joyce sein. Was reimt sich noch auf Beuys? Odysseus. Nicht schlecht. Dann wäre ich halt nicht der Autor sondern sein Hauptdarsteller. Odysseus, der Helmumflatterte, der Listenreiche, sagen wir, ich bin gerade bei Kirke angekommen, herrlich was mich dort alles erwarten wird, willst du mal eine Kostprobe hören? Nein, das gehört nicht zum Thema. Sei nicht so streng, Josef, denk mal an deine eigene Vergangenheit, du hast doch auch mal Schiffbruch...Nein, ich bin mit dem Flugzeug abgestürzt, und zwar in Sibirien und nicht an einem Mittelmeerstrand. Man hat mich in Filz und Fett gewickelt. Zugegeben, die Fürsorge, die dir zuteil wurde, war nicht so raffiniert wie die, die Kirke Odysseus angedeihen ließ.., ich werde dir eine Passage daraus vorlesen. Später. Nein, jetzt! ZITAT!!! Da bestieg ich das überaus schöne Lager der Kirke. / Dienerinnen waren derweil in den Hallen beschäftigt, / Vier, die in ihrem Haus die Hausarbeiten verrichten. / Diese sind alle zumal aus Quellen und Hainen entsprossen / Und aus heiligen Strömen, die sich zum Meere ergießen. / Eine von ihnen breitete purpurfarbene, schöne / Decken über die Throne und legte Linnen darunter; / Eine andere wiederum stellte silberne Tische / Vor die Throne und setzte darauf dann goldene Körbe; / Eine dritte mischte in silbernem Mischgefäß süßen / Honigartigen Wein und verteilte die goldenen Becher; / Wasser brachte die vierte und machte ein kräftiges Feuer / Unter dem großen Dreifuß an, um das Wasser zu wärmen. / Als das Wasser dann heiß im blanken erzenen Kessel, / Setzte sie mich ins Bad und goß es aus mächtigen Dreifuß, / Mir mit duftenden Kräutern vermischt übers Haupt und die Schultern / Bis sie mir die verzehrende Mattheit nahm von den Gliedern. / Als sie mich aber gebadet und dann gesalbt mit dem Salböl, / Legte sie mir einen Leibrock an und prächtigen Mantel / Und ließ nieder mich sitzen auf schönem, kunstvoll verziertem / Silberbeschlagenem Thron; für die Füße war drunter ein Schemel. / Und eine Dienerin brachte in schöner goldener Kanne / Handwaschwasser und netzte damit über silbernem Becken / Mir die Hände und stellte vor mich den geglätteten Tisch hin. / Und die würdige Wärterin brachte und setzte dann vor mich / Brot und Speisen dazu, gern gebend von allem, was da war... Na, wie klingt das in deinen Ohren? He, du bist ja ganz weggetreten...Augen auf, du sollst mich auf Kurs halten! Wo waren wir stehen geblieben? Hä? Äh..., ja..., äh, Schukrut, ja, Schukrut. Das war ein Buch über meine Zeit in Paris. Ich habe Kontaktstreifen, Fotos von meinem Pariser Aufenthalt, auf Blaupause belichtet, sie mit Text beschrieben und mit Transparentpapier versehen und auf 7 Offsetdruckplatten montiert. Die einzelnen Platten wur­den dann noch einmal fotografiert und unter dem Titel "Drehbuchskizzen" als eigenes Kapitel in das Buch aufge­nommen. Das war wie ein Ausflug ins Grüne. Man wird verrückt, wenn man immer nur schreibt, immer in den Wei­ten seines Kopfes unterwegs ist, man muss zwischendurch auch mal im Nahbereich entspannen ...bei einem Glas Tusche oder Aqua-rell... sich an Farben und Formen erfreuen. Aus diesem Grund bin ich eigentlich mit jedem meiner Bücher ein paar Tage ins Grüne gefahren ...oder Blaue... ja, du hast Recht, das Grüne ist bei mir in diesem Fall auch immer das Blaue, das Blaue im Sinn von "ungewiss", im Grünen befinde ich mich auf schwankendem Boden, die Bildende Kunst ist nicht mein ureigenes Metier. Deine Ausflüge bestanden oft darin, dass du Sätze aus deinen Büchern oder anderen druckgrafisch bearbeitet hast. IN GIRUM IMUS NOCTE ET CONSUMIMUR IGNI, wir kreisen in der Nacht und werden vom Feuer verzehrt. Das ist ein Palindrom, ein Satz, der den gleichen Sinn ergibt, egal ob man ihn vorwärts oder rückwärts liest. Diesen habe ich auf eine Ozalid-Kopie belichtet, ein Verfahren, mit dem man erreicht, dass die Buchstaben fein geritzt wie mit dem Teppichmesser erscheinen. Oder ich habe mit Bleistift auf Aquarellpapier geschrieben und mit dem Radiergummi Linien durch die Worte gezogen, meine sogenannten "Radierungen". Den entstandenen Strich mit samt seinen Ar­beitsspuren, den Flusen aus Graphit und abgeriebenem Gummi, habe ich dann fixiert. Oder ich habe jeweils in die vorletzten, mit handschriftlichen Korrekturen und Durchstreichungen versehenen Fassungen meiner Bücher Kapi­telüberschriften mit Wachsstiften und Aquarellfarben über die ganze Blattgröße geschrieben, den Text mit Deck­weiß und rückseitig bemaltem Tesafilm traktiert. Wie eigenständig sind diese Ausflüge? Stichwort "Ornament"... Ich denke, das trifft es ganz gut. Sie verhalten sich zum Schreiben wie die im Jugendstil üblichen farbigen Fassadenkacheln zum eigentlichen Haus. Manche Arbeiten haben vielleicht eine größere Eigenständigkeit, zum Bei­spiel die letzte, das BAYRISCHE SKIZZENBUCH, in dem Text und Bild..., hm...tja, welches Verhältnis gehen sie ein, was ist das, wenn der Text selbst zum Bild wird, ohne dass die Buchstaben zum bildnerischen Material werden, ich weiß es nicht, ich weiß es tatsächlich nicht... jetzt habe ich den Faden verloren..., hallo, dein Einsatz! Hallo! Warum sagst du nichts mehr..? Nutzen wir die Stille für eine kurze Zwischenbilanz: Portrait des S. als S., eine Klarwerdung. Ist dir schon etwas klar geworden? Tja, das ist so eine Sache mit der Klarheit... Ja oder nein? Eine klare Antwort bitte! Wir sind auf einem guten Weg, würde ich sagen. Das, worum es geht, ist ja kein festumrissener Gegenstand wie ein Stück Holz oder ein Stein. Dann wäre das Denken eine bildhauerische Tätigkeit. Denken als Skulptur. Es ist ja eher eine Gratwanderung, mit diversen Fehltritten nach rechts und links. Es lässt sich nicht bilanzieren. Du solltest eher fragen, ob mir schon Gedanken gekommen sind, die ich vorher noch nicht hatte. In einem wirklichen Gespräch geht es ja darum, noch nicht gedachten Gedanken auf die Spur zu kommen. Ausflüchte, nichts als Ausflüchte. Kehren wir also noch einmal zu deinen Ausflügen zurück, es geht dir also um einen Bedeutungsverlust. Je mehr man versucht, den Reflex des Lesens zu brechen, indem man den Bildcharakter der Schrift betont, sei es, dass man durchein­ander schreibt, die Form der Buchstaben verändert, die Kohärenz auflöst, sei es, dass man Worte in Holz oder Linoleum kerbt, desto mehr verliert das Zeichen das, was es bezeichnet, es verliert sozusagen den Bedeutungsbo­den unter den Füßen, den Serifen, die Worte verschwimmen in der weiten Welt... Danke für das Stichwort. Am Anfang des Projektes DIE WEITE WELT war das Wort, in meinem Fall das mit wasserlöslicher Tinte gedruckte. Dann war der Wassertropfen. Er tropfte zufällig auf das Wort. Und das Wort verschwamm, die Buchstaben zerflossen zu feinen organischen Gebilden, wurden unlesbar. Ich ver­folgte diese Auflösungsprozesse, das Unscharf-Werden der Buchstabenkontur mit kindlicher Freude. Ich besprenkel­te unzählige Manuskriptblätter mit Wasser, setzte sie Regen und Schnee aus, ließ Wassertropfen von Pa­pierrand zu Papierrand laufen, und plötzlich kam mir die Idee, die Redewendung: "Mit Worten malen" wörtlich zu nehmen, das heißt verschiedene Texte auf DinA3 Format mit Tintenstrahl drucken zu lassen und verschiedenen Künstlern zur Bearbeitung zu geben mit der Maßgabe, nichts als Wasser und Pinsel zu benutzen. So entstand die blaue Schachtel DIE WEITE WELT, die 9 vermalte Textblätter enthält. Das erinnert mich an ein Palimpsest. Was du für Wörter kennst! Ideographisch, phonographisch, Palindrom, Palinzest... Keine Kalauer, das war abgemacht! Ein Palimp­sest ist eine Überlagerung, eine Handschrift auf Pergament, also auf Tierhaut, die im Altertum oder Mittelalter nach Abkratzen oder Abwaschen ein zweites Mal beschrieben worden ist, wobei aber die erste Handschrift noch durchscheint. Im Fall der WEITEN WELT überlagert also das Gemalte das Geschriebene. Das gefällt

mir. Das aus der Not Erfundene verhindert die Effekthascherei. Der Moment des Umschlags vom Zweckdienlichen ins Äs­thetische ist köstlich. Das Ästhetische trägt den Zweck noch in sich, wie die Schrift, auch als Ansammlung graphi­scher Zeichen, ihre Bedeutungshaftigkeit niemals verleugnen kann. Und doch scheint dir jedes Mittel recht, die Schrift in die Unlesbarkeit zu treiben, bis zum Bücher-an-die-Wand-nageln. Ja, das macht Spaß. Und bei einem Buch macht es besonderen Spaß, rate mal, bei welchem, Josef – Josef, bist du überhaupt noch Josef? Ja, ich fühle mich ganz wohl in meiner Beuysschen Haut. Noch heute werde ich den Ulysses an die Wand nageln. Letztens habe ich das „Bittere und das Süße" von Mascha May, "Tempeltänzerin Shirna" von Arlon Brando, "Ein Mundvoll Erde" von Stefanie Zweig und "Geh und rette Assuan", von Nick Norden.an die Wand genagelt, da passt Ulysses doch ganz gut rein. Morgen werde ich den Luftlochschläger, meinen ersten Roman, an die Wand nageln, unterlegt von 4 Reclamausgaben des Odyssee, diesen kleinen gelben Bändchen, eins für jede Buchecke, alles in allem mit zwölf Nägeln. Dem Ganzen werde ich folgenden Titel geben: Ist Buddha auf Schlangen gebettet, so der Luftlochschläger auf den Irrfahrten des Odysseus. Warum tust du das? Was? Bücher an die Wand nageln. Keine Ahnung. Vielleicht, weil ein Buch kein Pudding ist? Weil dadurch ein Buch zum Bild wird? Weil es eine, zugegeben perverse, Genugtuung ist, einen Nagel ins Fleisch der Seiten zu treiben? Weil ein Buch letztendlich ein Stück Holz, ein Stück aufblätterbares Holz ist, eine Art bedruckter Holzblätterteig? – Ich weiß es nicht. Aber ich könnte mir sogar vorstellen, daraus eine Profession zu machen, Körbe von Büchern bei einer Haushaltauflösung zu erstehen und sie, als Kunstwerk auf Bestellung, in verschiedenen Haushalten an eine dafür bestimmte Wand zu nageln, und zwar so wie sie aus dem Korb kommen, dünn, dick, groß klein, mit und ohne Goldschnitt, als Mängelexemplare oder Erstausgaben, Bildbände, Kochbücher, Reiseführer, was auch immer. Ich frage dich noch mal, warum tust du das? Ich weiß es einfach nicht, manches läßt sich nicht erklären. Wieder die Ausflüchte! Wir wollten doch ein der Erkundung dienliches Ge­spräch führen! Wo ist da der Widerspruch? Wenn ich "ich weiß nicht" sage, bedeutet das nicht, dass ich nicht weiß, sondern dass ich beim Nicht-Wissen angelangt bin, Ende der Fahnenstange, Land´s End, finis terra. Es geht um ein positives Nicht-Wissen am Ende eines Reflektionsprozesses. Zwischen dem ersten Ich-weiß-nicht und dem letzten "Ich weiß nicht" liegt ein langer Weg. Du bist gerade mal eben um den Block gegangen! Du weißt einfach nicht was du willst. Natürlich nicht. Ein Künstler, der weiß, was er will, will doch nur, was er weiß. Das müsstest du doch wissen, Josef. Spätestens jetzt merkt man, dass du nicht der wahre Josef bist. So weiß ich immer noch nicht, was ich bei meinem BAYRISCHEN SKIZZENBUCH eigentlich gemacht habe ...das kann ich dir sagen... Lassen wir es gut sein, ich bin zufrieden, ich weiß nun, wie ich die Ausstellung aufbaue... Nein, Aufgeben vor der Zeit, das gibt es bei mir nicht! Also gut, dann sag mir, was du mir sagen kannst. Du hast das getan, was ein Maler tut, du bist mit deinem Schreibblock und deinem als Staffelei dienenden Schreibbrett in die Voralpenland­schaft gegangen, sozusagen mit Block und Blick über Stock und Stein, und hast am Ort deiner Wahl deinen Klappstuhl aufgepflanzt, das Klemmbrett auf den Oberschenkel gelegt und dann mit Worten gezeichnet, also das Gesehene in Worte und das Geschaute in den Raum zwischen den Zeilen überführt. So? Hab´ich das? Und weil das so "malerisch" war, werden die Texte als Zeichnungen präsentiert, hängen an der Wand, gerahmt und mit Passepartout verse­hen, drei von ihnen sogar als Triptychon, so einfach ist das.

Aber was ist das, was dann an der Wand hängt, ein Text oder ein Bild? Was soll es denn anderes sein als Text? Nur dadurch, dass der Text gerahmt, von einem Passepartout umgeben und an die Wand gehängt ist, wird er noch nicht zum Bild. Ich dachte, ich hätte etwas neues entdeckt. Neues hat Duchamps mit seinem umgedrehten Pissoir entdeckt, indem er das Kunstwerk nicht mehr nur unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet hat. Soweit ich sehe, ist das die einzige Möglichkeit, den Unterschied zwischen Literatur und Malerei, den Lessing in seinem Laokoon beschrieben hat, aufzuheben, und zwar in einer Art mentaler Kunst, einer Idee, einem Konzept. Ach, ich habe einen Knoten im Hirn. Dann machen wir eine Pause. Übe dich im Nicht-Denken! Lass dich an den Mast deines Stuhls binden und widerstehe den Sirenen deiner Gedanken, oder drehe ein paar Runden durch das Graphische Kabinett und lasse deine Beine deine Gedanken entsorgen, Schritt für Schritt. Wird gemacht Josef! Jetzt bist du wieder ganz der alte. Du bist DDD. Wer ist das denn? Der Deutsche Duchamps. Nein, mit ihm möchte ich nicht verglichen werden, sein Schweigen wird überbewertet - das habe ich doch gesagt, oder? Ja, das hast du gesagt. SeinGroßes Glas“ und meine „Honigpumpe“, zwei Arbeiten, die nicht gegensätzlicher sein könnten. Aber jetzt geh und dreh deine Runden! Ich lese inzwischen, was Lessing zum Thema gesagt hat. Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben im Raum, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen (...) Es bleibt dabei: die Zeitfolge ist das Gebiet des Dichters, so wie der Raum das Gebiet des Malers. – Und? Wieviele Runden hast du gedreht? Zehn. Für jedes Jahr eine. Ithaka ist bereits in Sicht. Zurück zum Thema! Wenn ich dich recht verstanden habe, willst du einen Text, der eine Bildbeschreibung zum Gegenstand hat, auch als Bild präsentieren. Ja, es ist die Idee eines in den Worten versteckten Bildes, das man im Prozess des Lesens betrachten kann. Es wird nur durch Lesen zum Bild. Wenn man es sehen will, muss man es lesen. Das Lesen als Enthüllungsvorgang. Sobald man es gelesen hat, verschwindet es wieder in der Buchstäblichkeit und hängt wieder da als Textrechteck, als Möglichkeit. Oder, um es naturwissenschaftlich auszudrücken: es hängt da in einem anderen Aggregatzustand: zu Worten gefroren. Wir sind wieder da, wo du eben schon mal warst: Dir geht nichts über ein inneres mentales Bild, du ziehst die gedankliche Vorstellung vom Gesehenen dem Abbild des Gesehenen vor. Ach, ich habe wieder einen Knoten im Gehirn. Wort und Bild, Bild und Wort..., vielleicht ist es so wie in der Geschichte vom Schriftsteller und Ma­ler, die nebeneinander an einem Tisch auf einem Balkon sitzen und die Aussicht genießen. Jeder hat ein Blatt Papier vor sich. Zwischen ihnen liegt ein Bleistift. Mit einem Mal, als wäre die Lust zu schreiben bzw. zu malen gleichzei­tig über sie gekommen, greifen beide nach dem Bleistift, halten aber, als sie die Bewegung des anderen bemerken, lächelnd inne, um dem anderen den Vortritt zu lassen. Als der Maler seine Hand zurückzieht, nimmt der Schriftstel­ler den Bleistift, bricht ihn kurzerhand an der Tischkante entzwei, reicht die zugespitzte Hälfte dem Maler und be­gnügt sich mit der anderen, aus deren abgebrochenem Ende ein Stück Bleimine ragt. Beide machen sich an die Ar­beit. Eine Weile zeichnen und schreiben sie, dann tauschen sie ihre Blätter untereinander aus. "Du hast geschrieben was ich gemalt habe", sagt schließlich der Maler. "Und du gezeichnet was ich geschrieben habe", der Schriftsteller und setzt hinzu: "merkwürdig, wo doch eine Linie eine Linie und ein Buchstabe ein Buchstabe ist." "Ja, es liegen Welten zwischen uns", bestätigt der Maler, "nichts ist so unterschiedlich wie Zeichnen und Schreiben. Ich kann Gesehenes nur in Li­nien überführen." "Und ich nur in Buchstaben", sagt der Schriftsteller. "Obwohl Buchstaben nichts als gekrümmte Linien sind!" sagt der Maler. "Und doch," gibt der Schriftsteller zu bedenken, "welch ähnliche Welten sich auf dem Papier erheben! Bei dir liegt die Kunst zwischen den Linien, bei mir zwischen den Zeilen."